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Bei den Recherchen zu diesem Blogthema bin ich (Ruth) auf eine Ausgabe der Zeit Online gestoßen. Der Artikel gefiel mir und ich dachte, dass er aktuell sei. Ich musste dreimal hinsehen um festzustellen, dass der Artikel wirklich aus dem Jahr 1962 stammte. Und schon damals gab es das gleiche Bild wie heute: zu viel Arbeit, zu wenig Müßiggang.

Immer, wenn ich einen Blogartikel schreibe, hoffe ich, dass mich die Muße küsst. Das Wort Muße ist in unserem Sprachraum positiv besetzt. Aber wie steht es mit dem Begriff Müßiggang? Ist dieser auch positiv besetzt?

„Müßiggang ist aller Laster Anfang“,

besagt ein deutsches Sprichwort. Nicht gerade etwas, das man als erstrebenswert erachtet. Und doch treten wir dafür ein und möchten mit diesem Blogbeitrag diesem wertvollen Wort (Aktivität) eine andere Positionierung zu Teil werden lassen.

Müßiggang war vor langer, langer Zeit dem Adel, den oberen Schichten und dem Klerus vorbehalten.  Er war Grundlage für Kunst und Kultur. Damals bedeutete das Leben zu meistern, die Muße hervorzukehren. Dabei hatte das gar nichts mit Faulheit zu tun, sondern damit produktiv zu träumen, zu reflektieren, zu sein statt zu handeln. Und auch, wenn es etwas mit Faulheit zu tun hätte, wäre das ab und zu ja auch nicht das Schlechteste, in einer Zeit, wo wir von einem Termin zu nächsten hetzen und das nicht nur während der Arbeitszeit.

Dazu eine wahre Begebenheit:

Es war einmal vor langer Zeit. Ich bin auf dem Weg nach Hause. Ich weiß nicht, welcher Tag ist und muss angestrengt darüber nachdenken. Es ist Dienstag. Dienstag? Was steht da heute auf dem Programm? Ah, Dienstag hat unsere ältere Tochter Keyboardstunden. Ok. Ich muss noch etwas einkaufen und auf die Post, aber das lässt sich alles gut verbinden. Während meine Tochter in der Musikstunde ist, kann ich zum Supermarkt in der Nähe gehen und dann sind es eh nur ein paar Schritte zur Post.

Nächster Tag, ähnliches Szenario. Ich komme aus dem Büro. Was ist heute für ein Tag? Mittwoch. Mittwoch bedeutet, dass ich unsere jüngere Tochter zum Fußballtraining begleite. Die Freude darüber hält sich in Grenzen. Na, ich habe ja meinen Laptop mit, dann kann ich für mein Studium (ich bin eine Spätberufene) etwas tun – doch keine verlorene Zeit. Gut.

Nächster Tag – wie ein Perpetuum mobile. Ich denke kurz nach, welcher Tag ist und schwupps befinde ich mich mit unserer älteren Tochter auf dem Weg zur Turneinheit. Ich überlege, was ich in dieser Zeit Sinnvolles tun oder erledigen könnte. Der Vorteil, es ist nicht zu weit weg von unserer Wohnung. Da könnte ich noch schnell eine Waschmaschine einschalten und vielleicht noch etwas zum Nachtmahl einkaufen gehen.

Du errätst vielleicht, wie die Geschichte weitergeht. Aber du irrst dich. Am Freitag hatten die Kinder keine Termine. Bin ich froh, nur zwei Kinder zu haben. Nicht auszudenken, wie das andere mit drei oder mehr machen.

Allerdings so ganz falsch liegst du nicht, denn am Montag gabs Englischkurs mit der jüngeren Tochter. Ich sags gleich, ich habe das nur ein Jahr durchgehalten. Was heißt durchgehalten? Dann kam der Moment, wo mir klar wurde, dass das nicht nur Stress für mich ist, sondern auch für meine Kinder! Und obendrein lebte ich ihnen etwas vor, was alles andere als gesund war.

Ich habe nur mehr in Sätzen, die mit „ich muss …“ begonnen haben, gelebt. Sehr hilfreich war es auch nicht, dass ich den Glaubenssatz (Antreiber) „mach es allen Recht“ sehr intensiv ausgelebt habe. Nicht, weil mich die anderen darum gebeten haben. Ich wollte meinen Kindern etwas bieten.

Kommt dir das bekannt vor?

Immer wieder erleben wir in Coaching-Einheiten und in Seminaren, dass ich keinesfalls ein Einzelfall bin (war). Der Terminkalender vieler ist nicht nur voll mit Meeting-Terminen. Auch in der sogenannten Freizeit reiht sich ein Termin an den anderen. Krank werden ist sowieso nicht erlaubt. Und bei manchen ist es sogar im Urlaub ähnlich. Da lautet das Motto öfters: Asien, die USA, Europa in 14 Tagen sehen und erleben.

Die Termine während der Arbeit lassen sich meistens schlecht beeinflussen, sind sie doch vielfach fremdbestimmt. Die Freizeitgestaltung können wir (zum größten Teil) selbst bestimmen. Und wenn das bei dir (noch) nicht so ist, dann arbeite daran, dass das so wird. Oft ist gezieltes und gekonntes NEIN sagen, der erste Schritt dorthin.

Wir wollen auf keinen Fall den Eindruck hinterlassen, dass Theaterbesuche, Zeit mit Freuden verbringen, Sport betreiben usw. etwas Schlechtes ist. Ganz im Gegenteil.

Wir plädieren dafür, dass die Freizeit Qualitätszeit ist. Das heißt bewusste Entscheidungen zu treffen, wie sie gestaltet werden soll. Qualität statt Quantität. Dabei sein, statt nur da zu sein.  Auf etwas gezielt zu verzichten um anderes bewusst zu genießen und voll bei der Sache oder den Menschen, mit denen wir zusammen diese Zeit verbringen, zu sein.

Ab und zu ein Müßiggang ist ein versunkener Schatz, der geborgen werden sollte. Dazu gehören eine bewusste Entscheidung und ein fester Wille. Müßiggang hat nicht nur mit Freizeit, sondern auch mit Freiheit zu tun. Ein Leben so zu führen, wie wir es wollen.

Auch den Mythos, dass Müßiggang Zeitverschwendung ist, wollen wir ausräumen. Denn gerade im Müßiggang liegt die Kraft der Ideen. Ideen für Neues, für Anderes und für Lösungen. Antworten auf Fragen zu finden ohne zu grübeln. Und wer sagt, dass du herumliegen musst? Es heißt Müßig…Gang. Schlendere durch die Straßen, durch Parks, durch Wälder. Alleine oder mit jemand anderem. Ohne Ziel, sondern einfach treiben lassen, schauen, hören genießen und Spaß haben.

Entgegen dem deutschen Sprichwort halten wir es mit dem Zitat von Soren Kierkegaard:

 „An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel des Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“

Wir haben aktives Nichtstun gelernt und können es nur wärmstens empfehlen.

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